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Informativ, spannend und kontrovers

16.09.2016 Zum 17. Male hatte Bürgermeister Dr. Uwe Malich wieder eine interessante Persönlichkeit zum Gespräch, zur Diskussion, nach Wildau eingeladen. Am 15. September 2016 war der bekannte Sachbuchautor, ehemaliger Finanzsenator der Hauptstadt Berlin und ehemaliger Vorstand der deutschen Bundesbank Dr. Thilo Sarrazin zu Gast in Wildau.
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Foto: Manfred Tadra

Dr. Sarrazin hat im Frühjahr diesen Jahres wieder ein neues Buch herausgegeben mit dem beziehungsreichen Titel: „Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert.“


Der Bürgermeister eröffnete „gewissermaßen zum warm werden“ die Diskussionsrunde mit einer Frage nach den Perspektiven Berlins und seines Umlandes. Der ehemalige Berliner Finanzsenator hielt sich hier noch sehr zurück und verwies darauf, dass uns unsere Zukunft prinzipiell unbekannt ist und wir nicht glauben dürfen, über die Ableitung von historischen Gesetzmäßigkeiten die Zukunft vorher bestimmen zu können. Dann gab er aber doch zu, dass sich Berlin ziemlich gut entwickelt, besser, ja sogar viel besser als viele andere große Städte in Europa. Und auch das Umland würde davon profitieren. Dann ging es um die Perspektiven Deutschlands. Auch hier sah Dr. Sarrazin viele Ungewissheiten. Die gegenwärtige Flüchtlingswelle (seit 2015) ist für ihn ein Hauptproblem. Vor allem bei der davon abgeleiteten Thematik der Flüchtlingsintegration sah er viel politisches Wunschdenken. Die Integration ist eine Riesenherausforderung für unser Land, dabei sehr stark differenziert nach dem historischen und kulturellen Hintergrund der jeweiligen Bevölkerungsgruppen. Manche, beispielsweise Polen oder auch Vietnamesen, wären relativ leicht integrierbar. Andere, insbesondere Flüchtlinge aus dem Nahen Osten mit konservativ islamischem religiösem Hintergrund wären nur schwer bzw. in absehbarer Zeit überhaupt nicht integrierbar (von Ausnahmen abgesehen). Hier gibt es große Unterschiede, die müssen akzeptiert und beachtet werden. Und natürlich muss man auch bedenken, dass Flüchtlinge aus Syrien in ein paar Jahren womöglich wieder dringend für Aufbauarbeiten in ihrem Heimatland benötigt werden. Als Illusion bezeichnete Dr. Sarrazin verbreitete Erwartungen, dass mit der gegenwärtigen Flüchtlingswelle unsere demografischen Probleme (Geburtenschwäche) gelöst werden könnten. Dafür würden real wichtige Voraussetzungen fehlen, darunter Qualifikation und kulturelle Anpassung an unsere Verhältnisse in Deutschland. Sarrazin mahnte deutlich mehr Realismus an. Sehr kritisch setzte sich Sarrazin auch mit dem deutschen Bildungssystem auseinander. Im Ergebnis internationaler Vergleichsstudien würde Deutschland nur im Mittelfeld landen und damit langfristig die Wohlstandsposition unseres Landes gefährden. Auch im Bildungsbereich sah er viel „Wunschdenken“. Eine steigende Anzahl Abiturienten bei gleichzeitigem Durchschnittsniveauverlust der Abiturienten sah er als den falschen Weg an. Im Weiteren wurde die Situation in Europa, in der EU, angesprochen. Die gegenwärtige Situation ist durchaus dramatisch. Als existenzielle Voraussetzung für das Funktionieren der Europäischen Union sah er sichere Außengrenzen der Union an. Das wäre eigentlich rechtlich vorgeschrieben, wurde aber in den vergangenen mehr als 20 Jahren unterschätzt und eher sträflich vernachlässigt, auch von deutscher Seite. Auf die Frage, ob Griechenland gegenwärtig von Ostdeutschland lernen könnte, antworte er ein wenig schmunzelnd, dass die kulturellen und mentalen Voraussetzungen in Griechenland andere sind als in Ostdeutschland. Disziplin, Pflichtbewusstsein und Arbeitsethos wären in Ostdeutschland anders als in dem südeuropäischen Griechenland. Sarrazin setzte sich auch mit der Null-Zins-Politik der EZB auseinander. Hierfür sah er sowohl die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingen, als auch die Wirtschaftskrisen der südeuropäischen EU-Länder als Ursache. Die EZB überschwemmt den europäischen Markt regelrecht mit Geld, um alle europäischen Wirtschaften einigermaßen am Laufen zu halten. Der relativ schwache Euro ist eine Folge dessen.

Beim Blick in die Zukunft sowohl unseres Landes, als auch Europas insgesamt warnte Sarrazin vor übertriebenen Erwartungen. Es würde nur in kleinen Schritten vorangehen. Schon der bekannte österreichisch-britische Sozialphilosoph Karl Popper hatte für unsere „offenen“ Gesellschaften das Paradigma von der Stückwerk-Sozialtechnik formuliert. Also es geht immer nur in kleinen Schrittchen voran - nach langen Kämpfen und Widersprüchen. Das war ein nicht euphorisches Fazit. Nicht schön war auch sein Befund (in Anlehnung an Popper), dass die offene Gesellschaft zu einer Entpersönlichung führt. Das heißt, Tendenz zur Vereinzelung und Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft. Aber dafür können wir weitgehend frei unseren Lebensweg bestimmen.

Obwohl die Schlüsse der Diskussionsrunde nicht gerade hoffnungsfroh stimmten, gab es am Ende sehr viel Applaus für den bekannten Berliner Sachbuchautor und Sozialdemokraten.

Dr. Uwe Malich, Bürgermeister